17.08.1999 morgens 03:01 Uhr.
Das Erbeben der Stärke 7,6 traf die Region um das Marmara-Meer früh am Morgen und riss unzählige Menschen direkt aus dem Schlaf in den Tod. Es dauerte nur 45 Sekunden und forderte mindestens 17.000 Menschenleben. Fast 45.000 Menschen wurden verletzt. Mehr als eine halbe Million wurden obdachlos. Rettungsmannschaften und Angehörige suchten Tage lang verzweifelt nach Verschütteten und Vermissten.
Laut offiziellen Angaben verloren knapp 17.000 Menschen ihr leben, Hilfsorganisationen gehen von mindestens 45.000 Menschen aus. Viele waren zu jener Zeit in den betroffenen Städten nicht registriert und können daher nicht offiziell zu den Opfern gezählt werden.
Ich war zu jener Zeit bei meinem heutigen Mann in Alanya, und auch wir verspürten leise Ausläufer des starken Bebens, aber niemand machte sich so richtig Gedanke darüber – schliesslich wackelte das Sofa öfter mal. Eher ungewöhnlich war, das am Morgen für mehrere Stunden weder Strom noch Telefon funktionierten – ob das ursächlich zusammenhing oder Zufall war – wer weiss das schon?
1999 war das Internet und erst recht Meldungen über „Liveticker“ eher etwas für Freaks, Onlinezeitungen waren völlig unbekannt. Man wählte sich ja über ein Modem mit 56 kbit in die Telefonleitung ein und der Computer stand im Büro oder bestenfalls im heimischen Wohnzimmer.
Mein Draht zur Welt bestand damals aus einem kleinen, batteriebetriebenen Weltempfänger, der auf dem Küchentisch stand und mit knarzender Stimme aus dem Deutsche-Welle-Studio Istanbul stündlich von der Katastrophe berichtete. Zu dem Zeitpunkt wusste so gut wie kein türkischer Einwohner von Alanya von der Katastrophe. So kam es zu der einigermaßen surrealen Situation, dass wir am Nachmittag an unserem verkratzten Küchentisch saßen, konzentriert auf die knarzende Stimme hörten und mit wachsendem Entsetzen feststellten, dass hier eine wirkliche Katastrophe passiert war, während wir in Alanya „Business at usual“ hatten – bis auf die Tatsache, dass stundenlang weder Telefon noch Strom funktionierten. Als ich am Abend meine Mutter in Deutschland anrief, war sie – in Unkenntnis der geografischen Gegebenheiten – schon völlig in Tränen aufgelöst… in den deutschen TV- Nachrichten wurde ausführlich berichtet, während in den türkischen immer noch von „einigen Toten“ die Rede war.
Die hohe Zahl der Toten hatte viele Gründe: zum einen, dass sich das Beben zu einer Zeit ereignete, wo die meisten Menschen schliefen. Es ereignete sich in der dicht besiedelten Marmara-Region, wo auch sehr viele Menschen aus den armen Regionen in slumartigen Behausungen (Gecekondus) wohnten, um ihren Lebensunterhalt in der stark industrialisierten Region zu verdienen. Das Ufer des Marmara-Meeres besteht zum großen Teil aus lockerem Gestein und sandiger Oberfläche. Das gilt vor allem für Istanbuler Außenstadtbezirke wie Avcilar, wo die meisten Toten der Großstadtmetropole zu beklagen waren. Auffällig war, dass besonders viele neu gebaute Häuser in Avcilar sofort wie Kartenhäuser in sich zusammenstürzten, was in den meisten Fällen auf die Baufirmen zurückgeführt wurde, die billiges beton benutzten oder an Stahlbewehrungen sparten, um die Kosten für Neubauten zu drücken – skrupellose Bauunternehmer und korrupte Bauämter waren damit auch einer der Hauptgründe für die vielen Opfer – Häuser fielen zusammen, als wären sie nur mit Sand und Spucke zusammengeklebt gewesen. Direkt daneben – unversehrte Häuser…
Geografische Ursachen
Im Norden des Landes verläuft die sog. Nordanatolische Verwerfung. Sie ist ca. 900 km lang und erstreckt sich parallel zur Schwarzmeerküste über das Marmarameer bis nach Griechenland. Entlang der Verwerfung kommt es immer wieder zu verheerenden Erdbeben. Zwei kontinentale Platten schieben sich an dieser Stelle horizontal aneinander vorbei. Bei Bewegungen der Kontinentalplatten brechen die Ränder und es kann sich, wie im Fall der Türkei, eine Mikroplatte lösen. Die sog. Agäische Platte bewegt sich zwischen den beiden Kontinentalplatten etwa zwei bis drei Zentimeter pro Jahr westwärts. An einem Teil der Nordanatolischen Verwerfungen verhakt sich die Platte jedoch immer wieder und dadurch entstehen Spannungen. Diese Spannungen lösen sich von Zeit zu Zeit in Erdbeben.
14.04.1903: Ein Erdbeben fordert 1.700 Todesopfer.
28.04.1903: Bei einem Erdbeben kommen 2.200 Menschen ums Leben.
26.12.1939: In Erzincan kostet ein Erdbeben ca. 30.000 Menschen das Leben.
20.12.1940: In Erbaa sterben 3.000 Menschen bei einem Erdbeben der Stärke 7,3.
26.11.1942: Bei einem Erdbeben kommen 4.000 Menschen ums Leben.
01.02.1944: Ein Erdbeben der Stärke 7,4 verursacht 2.800 Tote.
31.05.1946: Ein Erdbeben der Stärke 6,0 tötet 1.200 Menschen.
19.08.1966: Nahe der Stadt Varto fordert ein Erdbeben 2.520 Todesopfer.
28.03.1970: In Gediz sterben bei einem Erdbeben 1.100 Menschen.
22.05.1971: In Bingöl verursacht ein Erdbeben 1.000 Tote.
06.09.1975: In Lice werden 2.400 Menschen bei Erdstößen getötet.
24.01.1976: In der Nähe von Muradiye kommt es zu einem Erdbeben. 3.850 Menschen sterben.
17.08.1999: Das Izmit-Erdbeben ereignete sich in der Großstadt Izmit am Marmarameer. Das Epizentrum lag unter der 200.000 Einwohnerstadt. Mit einer Stärke von 7,6 auf der nach oben offenen Richterskala forderte das Beben ca. 18.000 Tote und 44.000 Verletzte. Im Großraum Izmit wurden fast eine halbe Millionen Menschen obdachlos. Erhebliche Schäden erlitten auch viele Unternehmen in der stark industrialisierten Region um Izmit. Eine große Erdölraffinerie brannte beispielsweise mehrere Tage.
25.06.2001: Ein Beben der Stärke 5,5 erschütterte Osmanye.
03.02.2002: In der Region von Afyson forderte ein Beben der Stärke 6,5 44 Menschenleben und zerstörte zahlreiche Siedlungen.
10.04.2003: In Izmir/Seferihisar wurde ein Beben der Stärke 5,7 registriert; dieses Hauptereignis sowie verschiedene Nachbeben brachten umfangreiche Sachschäden.
26.07.2003: An diesem Tag bebte in der Westtürkei (Bulsan) zwei Mal die Erde; mit einer Stärke von 4,5 bzw. 5,4.
20.12.2004: In der Umgebung von Mamaris fand ein Erdbeben der Stärke 5,4 statt. Es brachte Sachschäden und Verletzte.
06.06.2005: An diesem Sommermorgen erschütterte ein Erdstoß der Stärke 5,3 die Provinz Bingol. Es mussten 3 Tote verzeichnet werden.
20.10.2005: Um Izmir zerstörte ein Beben der Stärke 5,9 zahlreiche Gebäude und Straßen und forderte einen Toten.
24.12.2005: im Gebiet Akhisar bebte die Erde mit einer Stärke von 4,3. Es gab umfangreiche Sachschäden, jedoch keine Toten.
23.10.2011: Um 10:41 Uhr wurde die Provinz Van in der Osttürkei von einem Beben der Stärke 7,2 zerstört und forderte rund 600 Tote.
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