Befürchtungen gab es ja schon lange, aber was die Türkei in den vergangenen Wochen erlebt hat, hat wohl in dieser Form niemand erwartet.
Der Putschversuch wird das Land auf lange Sicht beschäftigen – und vor allem auch die Reaktionen darauf. In der Nacht vom 15. auf den 16. Juli 2016 wurde in der Türkei Geschichte geschrieben – wie auch immer diese ausgehen mag und später beurteilt werden wird…
Die Nacht des Putschversuches habe ich als sehr emotional erlebt… an diesem Abend wollte ich eigentlich früh ins Bett, müde wie ich war nach durchgearbeiteten Nächten kurz vorher, als der Redaktionsschluss für das Magazin „drohte“. Wie es so unsere Angewohnheit ist, schalteten wir noch einmal die Nachrichten an – und die waren, selbst gegen 22 Uhr, schon so beunruhigend, dass sich das mit dem Zubettgehen erst mal erledigt hatte.
Die erste Reaktion war „nicht schon wieder ein Anschlag“…. doch schnell wurde klar, dass hier etwas passierte, was nicht normal war. Ganz und gar nicht normal.
Ich gestehe, dass ich in dieser Nacht zuerst nicht wirklich verstanden habe, was da gerade passiert und was die Folgen sein könnten – Putsch! Das war doch etwas für Geschichtsbücher. Als Deutsche habe ich sowas nicht wirklich erlebt. Anders mein Mann, der sichtlich beunruhigt war – auch das Telefon stand plötzlich nicht mehr still. Das hat mir am meisten Angst gemacht: die Besorgnis und Angst in den Augen gestandener Männer; und immer wieder der Satz “Nicht wieder 1980″… “Abla, komm, fotografier was passiert, komm, film alles hier! Die Welt soll es wissen” (Dass sie es nicht wirklich wissen wollte, habe ich erst viel später verstanden).
Dann die denkwürdige Erklärung, die im türkischen Staatsfernsehen TRT von einer seltsam steifen und aufgeregten Moderatorin verlesen wurde… noch machten wir uns etwas darüber lustig, wie unprofessionell nervös sie wirkte – eine Soldatin, plötzlich vor die Kamera geschleift? (erst Tage später haben wir erfahren, dass die Moderatorin mit vorgehaltener Waffe dazu gezwungen wurde). Sie verlas eine Meldung, dass das Militär die Macht übernommen habe und die Menschen doch bitte zu ihrer eigenen Sicherheit zuhause bleiben sollten. „Frieden im Lande“ sei der Name der Aktion. Danach wurde der Bildschirm schwarz.
Doch die Bilder auf den anderen Kanälen, die nicht von den Putschisten beherrscht wurden, sprachen eine andere Sprache. Kampfjets, die auf Demonstranten schossen. Panzer, die Autos und Menschen überrollten. Das Parlament, für die Türken ein geschichtsträchtiger und wichtiger Ort. bombardiert. Und keine Spur des Staatspräsidenten oder irgendeines Ministers. Wir saßen wie auf heissen Kohlen und aus der Beunruhigung wurde Angst.
Dann kamen die ersten Anrufe – wir gehen auf die Strasse! Und immer wieder – 1980. Der Putsch 1980, der sich tief in das Bewusstsein der türkischen Gesellschaft eingegraben hatte. In den deutschen Medien wurde zwischenzeitlich gemeldet, Erdogan sei auf der Flucht, habe Asyl in Deutschland erbeten, was ihm verwehrt worden sei.
Zu dieser Zeit, auch das haben wir erst später erfahren, entkam er mit knapper Not und durch eine waghalsige Aktion seines Piloten den Militärs. Spätestens als die schrägen Bilder eines Präsidenten, der mit der Moderatorin eines regierungskritischen Senders über Face-Videotelefon kommunizierten, zu sehen waren, war klar: alle auf die Strasse.
Was uns erwartete, wussten wir ja erst einmal nicht, also wurden die Kinder geweckt mit der Ansage, zu warten bis wir Nachricht geben – welche auch immer.
In Alanya waren wir aber zu keinem Zeitpunkt in wirklicher Gefahr, im Gegensatz zur Bevölkerung in Istanbul und Ankara, wo etliche Menschen ihre Entschlossenheit, nicht noch einmal einen Putsch zuzulassen, mit dem Leben bezahlten. Von den insgesamt 264 Toten waren ganze 4 Militärs.
Es hatten sich wirklich Tausende versammelt, auch die komplette Führungsriege der Stadtverwaltung sass geschlossen und angespannt auf den Treppen des Rathauses. Und etliche Bekannte hatten immer wieder das Bedürfnis, mir, der Ausländerin, zu erklären, warum sie hier seien: weil sie Angst vor den Folgen eines Putsches wie 1980 hätten. Und die Angst war in den Augen gestandener Männer wirklich zu sehen.
Die immer wieder auch von Deutschen gehörte Argumentation „Aber das Militär in der Türkei war immer Hüter der Demokratie“ ist pure Propaganda eben dieses Militärs und ihrer Unterstützer. Wie das aussehen könnte, wenn die Operation unter dem perfiden Motto „Frieden im Lande“ gelungen wäre, kann man schon an den mittlerweile veröffentlichten Chatprotokollen sehen… „verbrennt sie, erschießt sie“ und wenn der Sender nicht freiwillig aufgibt „bombardiert das Funkhaus“.
Wie sich die ganze Sache nun weiter entwickelt, bleibt abzuwarten – im moment besteht nach wie vor der Ausnahmezustand. Man wird sehen, wie die Lage sich in einigen Monaten darstellt. Angst habe ich allerdings keine.
Das war ein ganz besonderer Moment: ziemlich holprig, aber immer entschlossener singt die Menge den Istiklal Marşı, die türkische Nationalhymne:
Kommentar hinterlassen