Angekommen. Tagebuch einer Ausgewanderten

was ist Heimat?

Eine Ausgabe des Spiegels – und auch die Online-Ausgabe – beschäftigt sich mit der Frage „Was ist Heimat“? Ein erstaunliches Thema, eigentlich, denn Heimat – Heimatfilm – Heimatliebe – hat für viele etwas „Piefiges“: Heimat ist das enge Dorf mit tuschelnden Nachbarn, Schützenfest und Blasmusik. Heimat hat aber auch oft etwas Wehmütiges, besonders bei denen, die „Fern der Heimat“ leben.

Heimat ist immer da, wo man gerade nicht ist, das Gefühl hat man doch auch nach vielen Jahren im Ausland immer noch. Gelegentlich. Aber es ist auch eine Frage der Zeit – und der Interpretation. In vielen Volksliedern wird eine Heimat besungen, die nur da sein kann „wo auch Vater und Mutter zuhause sind“ – aber in Zeiten der Mobilität ist es ja fast schon die Ausnahme, dass eine Familie über mehrere Generationen am gleichen Ort bleibt. Ich kenne beides – eine Familie, deren Wurzeln im selben Dorf, im selben Haus bis ungefähr zum Jahr 1790 zurückzuverfolgen sind – und die Auswanderung in ein anderes Land, einen anderen Kulturkreis. Und es ist nicht gerade leicht, sich von diesen Wurzeln zu lösen – aber das muss man, wenn man ganz und gar im neuen Zuhause ankommen möchte.

Dass man in der neuen Heimat eine Familie hat, Mann und Kinder und einen neuen Freundeskreis erleichtert die Sache natürlich sehr. Und es ist ein Prozess, der lange Zeit dauert, mitunter viele Jahre. Genauso gehört die Bereitschaft dazu, sich auf den neuen Standort ganz und gar einzulassen, nicht mehr zu vergleichen – was habe ich hier? War es „daheim“ nicht doch besser? Vor einigen Jahren habe ich bereits – in meinem Forum – einen Kommentar zum Thema „Heimat“ geschrieben, zu einer Zeit, als wir noch pendelten … 6 Monate im Sommer hier, 6 Monate im Winter in Deutschland. Damals, 2003, habe ich geschrieben: „Das Leben ist manchmal seltsam halbiert, wenn man einen Partner aus einem anderen Land hat – irgendwas fehlt immer, nie ist es „perfekt“… Irgendwas fehlt immer in so einem zweigeteilten Leben, von irgendjemand und irgendwas muss man immer Abschied nehmen, und jedes Mal tut es gleich weh: man gewöhnt sich nicht daran.Meistens ist es eine Bereicherung, manchmal eine Belastung, manchmal verwirrend – wo gehört man hin?“

Das war auch einer der Gründe, warum wir – nicht nur wegen der anstehenden Einschulung unseres Kindes – uns für einen Ort entschieden. Es scheint, als seien wir nicht zum Nomadenleben geboren, wir brauchen einen Fixpunkt, eine Zuflucht. Wir haben uns für Alanya entschieden und inzwischen hat sich das „Zerrissenheitsgefühl“ geändert. Heimat ist für mich Alanya geworden, hier sind meine Wurzeln, mein Zuhause, meine Familie, meine Freunde. Heimat ist da, wo ich die Menschen um mich habe, die mir am meisten bedeuten. Wo das Leben seinen Gang geht, ohne dass man groß nachdenken muss. Heimat ist der Geruch von Meer und Staub, die ständige Geräuschkulisse und die Nachbarn. Aber ganz ehrlich: wenn ich mich hier und jetzt, unabhängig von Menschen und Dingen, für ein Land, Deutschland oder Türkei, zu entscheiden hätte, ich würde mich sehr schwer tun mit einer klaren Ansage. Also doch immer noch zwischen den Stühlen? Oder doch bereichert durch die Verwurzelung in zwei Kulturkreisen? Geht das überhaupt? Moderne Internetnomaden bringen es auf den kleinsten gemeinsamen Nenner: „Heimat ist da, wo ich das W-LAN- Passwort kenne.“

Hinterlasse jetzt einen Kommentar

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.


*


CAPTCHA
Refresh

*