Was steht eigentlich in diesem Demokratiepaket??

Am Morgen des 30. September hat Ministerpräsident Erdogan das lange mit Spannung erwartete Demokratiepaket vorgelegt. In den deutschen Medien war das vielen eine Eilmeldung wert, leider wurde das Paket aber auf einen Punkt reduziert, der angesichts der drängenden innenpolitischen Probleme der Türkei unter ferner liefen rangieren sollte: das Kopftuchverbot bei Beamten wird teilweise aufgehoben, bis auf Richterinnen, Staatsanwälte und militärisches/polizeiliches Personal dürfen weibliche Beamte künftig mit Kopftuch zum Dienst erscheinen. Ausnahmen sind auch Berufe, bei denen eine Uniform oder Berufskleidung vorgeschrieben ist.
Viel wichtiger und – wenn es tatsächlich so durchgesetzt wird – weitreichender sind aber andere Punkte auf der Agenda. Dies könnte tatsächlich eine historische Chance auf inneren Frieden sein. Wenn es denn so umgesetzt werden wird – was leider in den wichtigsten Punkten noch nicht ganz klar ist.

Bemerkenswerte Punkte sind unter anderem das Recht auf Schulbildung in der Muttersprache (auch wenn diese nicht türkisch ist) die Ausweitung der Versammlungsfreiheit und erweiterte Rechte für ethnische Gruppen, das Recht der Städte und Dörfer, ihre alten (nicht türkischen) Namen wieder annehmen zu dürfen und nicht zuletzt die Aufhebung der in Europa als undemokratisch scharf verurteilten 10%-Hürde für das Parlament.
Religion
Künftig gibt es einen Straftatbestand für „Haßverbrechen“ – entsprechend dem amerikanischen „Hate crime“ – es beinhaltet härtere Strafen bei rassistisch motivierten Straftaten und bei diskrimierenden Äusserungen gegen religiöse Gruppen und Minderheiten. Die Religionsfreiheit soll besser geschützt werden, dabei ist keine Religion spezifisch genannt. Daneben soll auch das in der Türkei umstrittene Kopftuchverbot für Staatsbedienstete aufgehoben werden. Die Aufhebung gilt jedoch nicht für Richterinnen, Staatsanwältinnen und Frauen im Militärdienst.
Bei aller Befürchtung, dass es damit umgekehrt zu einem Zwang zum Kopftuch kommen könnte, sollte man nicht vergessen, dass es das Kopftuchverbot im öffentlichen Dienst erst seit dem Militärputsch in den Achtzigern gab und vor allen Dingen dazu diente, die traditionell unreligiösen Streitkräfte zu stärken.
Parteien
Bislang kamen Parteien nur in den Genuss staatlicher Wahlhilfen, wenn sie mindestens 7% der Stimmen auf sich vereinen konnten. Diese Grenze soll auf 3% gesenkt werden. Das ist eine immense Stärkung der kleineren Parteien. Die 10% Hürde soll ganz aufgehoben oder gesenkt werden, im Gespräch sind 5%. Ferner soll es künftig erlaubt sein, dass Parteien ihren Wahlkampf in einer anderen Sprache als Türkisch führen dürfen.
Ausserdem soll ein Abgeordneten-Wahlrecht nach Provinzen eingeführt werden. Wie genau dieses aussehen soll, wurde bislang noch nicht konkretisiert.
ie Gründung einer neuen Partei soll erleichtert werden. Bislang war es bei Parteigründung erforderlich, dass eine Partei in der Stadt, in der sie sich gründet, in jedem Stadtteil ein besetztes Wahlbüro zu unterhalten hat. Die finanziellen Mittel hatte kaum eine Gruppierung, was damit einem Parteigründungsverbot gleichkam.
Die Parteispitzen können künftig geteilt werden. Minister können keine Fraktions- oder Parteivorsitzenden mehr sein.
Auch genehmigte Demonstrationen mussten bislang bei Sonnenuntergang enden. Dieses Verbot wird aufgehoben.
Minderheiten
Künftig wird es einen Passus geben, dass niemand wegen seiner Rasse, Herkunft, Hautfarbe oder Religion benachteiligt werden darf. Es wird ein Antidiskriminierungs- und Gleichstellungsgesetz geben.
Bislang waren z.B. Namen mit den Buchstaben Q, W und X verboten, da es diese nicht im türksichen Alphabet, sehr wohl aber im kurdischen gab. Dieses Verbot ist nunmehr aufgehoben. Schulbildung darf nun auch in einer anderen Sprache als türkisch erteilt werden, zum größten Teil betrifft das den kurdischen Bevölkerungsteil, dürfte aber auch für Ausländer, die z.B. nur zeitweise in der Türkei leben, interessant sein, da es möglich ist, z.B. rein deutsch- oder englischsprachige Schulen einzurichten.
Auch andere Volksgruppen, die bisher benachteiligt wurden, aber nicht so sehr in Erscheinung getreten sind, werden durch die Regelung begünstigt, z.B. Griechen, Armenier oder Araber. In der Türkei lebende Roma sollen ein eigenes Kulturinistitut bekommen, das syrisch-orthodoxe Kloster Mor Gabriel erhält sein in jahrelangem Rechtsstreit umkämpftes Gebiet zurück. Auch anderen religiösen Minderheiten wurde die Rückgabe von Immobilien in Aussicht gestellt.
Städe und Provinzen, deren Name zwangsweise „türkisiert“ wurde, erhalten das Recht, ihren alten Namen wieder anzunehmen, sofern die Namen vor 1980 geändert wurden. Alanya könnte so z.B. wieder Alaiye heissen…
Ein Signal für die Aleviten ist die Umbenennung der Universität Nevsehir in Hacı Bektaşı Veli Universität, er war eine wichtige religiöse Persönlichkeit für den alevitischen Glauben.  Eine Anerkennung der Cemevi, der alevitischen Gebetshäuser, und dem Alevitentum als Religion blieb allerdings aus.
Übersetzung+Zusammenfassung:
 Martina Yaman

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