Angekommen. Tagebuch einer Ausgewanderten

Valentin, oh Valentin….

Früher war es ja relativ einfach, sich globale Stolperfallen in Form von leicht zu  übesehenden „Gendenktagen“ zu merken: da war der Muttertag (auf den man schon wochenlang vorher in der Schule hingewiesen wurde) und ansonsten ging nur die Oma am Totensonntag in die Kirche. Alle anderen Gedenk- und Geschenktage waren allgemein  und für jeden und so vor dem Vergessen geschützt  – sieht man mal von Geburts- Jahres- und Hochzeitstagen ab, aber für die ist ja nach wie vor  jeder selbst verantwortlich.
Wann habe ich das erste Mal vom Valentinstag als Zwangsbeglückungstag für Ehe- und Liebespaare, Lebensabschnittsgefährten und ähnliches gehört?  Ich glaube, es kam zeitgleich mit dem Halloween-Hype, der im Herbst eine umsatzschwache Lücke im Geschäftsjahr   füllen soll, genau wie der Valentinstag notleidenden Blumenhändlern und Juwelieren über die schwere Zeit zwischen Weihnachten oder hier in der Türkei Silvester und Muttertag helfen soll.  

In meiner Schulzeit, speziell in der 6. Klasse, als wir eine brieffreundbegeisterte Englischlehrerin hatten, gab es die erste Blütezeit des Valentinstagsbrauchs, den unsere englischen Brieffreunde in unserer Klasse auslösten: An diesem Tag, erklärte mir meine Brieffreundin Shirley (sie kann auch anders geheißen haben, das habe ich vergessen, aber Shirley ist so schön „british“), bekäme man Briefchen oder kleine Blumensträußchen von heimlichen Verehrern (oder Verehrerinnen). Ohne Namen, versteht sich. Und ohne bestehende Beziehung, denn der gute alte Valentin war der Schutzpatron der heimlichen Liebe!  
Medien und Werbeleute sind schon geraume Zeit der Meinung, Valentin sei der Schutzpatron der  Schmuckhersteller und Floristen, in der Türkei auch insbesondere der Bügeleisen- und Staubsaugerfabrikanten.  Im Prinzip wird durch die Werbung nur suggeriert: kauf was! Irgendwas !  Nur so zeigst Du Deine Liebe! Während der anderen Hälfte der Liebesbeziehung suggeriert wird, dass die Wertschätzung der eigenen Person mit dem Preis des Präsents steigt – obwohl man sicher lieber ein liebevoll arrangiertes Picknick im Wohnzimmer als den neuesten Superduper-Elektronik-Staubsauger aus dem  Kaufhaus hätte…

Überhaupt treibt das „Tag der/des Irgendwas“ in der Türkei skurrile Blüten: da gibt es den „Öğretmenler günü“  – den Tag der Lehrer – an dem so mancher Pädagoge große Geschenke erwartet, die er dann mit gnädiger Geste entgegennimmt. Große Boutique-Ketten locken an diesen Tagen mit fetten Rabatten für Lehrer. Und wehe dem Schüler, der nicht zumindest eine Blume oder ein selbstgemaltes Bild mitbringt….
Oder den „Gazeteciler günü“, den Tag der Journalisten, an dem vor allem der schwindenden Pressefreiheit gedacht wird, vorzugsweise mit rauschenden Partys.   Die Liste der türkischen Gedenktage nimmt entspannte 2 DIN-A-4-Seiten ein, die meisten allerdings eher exotisch und nicht wirklich geschäftsmäßig zu verwurschten.

Ich geh einfach nicht hin.

Und das meine ich auch so und erwarte nicht  „trotzdem insgeheim“ ein Geschenk.    Denn wie bei so vielen ist die Geschichte des St. Valentin weniger durch Liebe als vielmehr von Gewalt geprägt…. nur sollen eben die von ihm geschlossenen Ehen unter einem guten Stern gestanden haben. Nichtsdestotrotz wurde er enthauptet und wurde so zum Märtyrer. Übrigens hat die katholische Kirche selbst den Valentinstag schon 1969 aus dem Kalender der Gedenktage gestrichen.  Der Grund dürfte allerdings nicht die bekannte Abneigung der katholischen Kirche gegen unkeusche Liebende sein, sondern ganz einfach die Tatsache, dass es „DEN“ Valentin nicht gegeben hat. Die Geschichtsschreibung kennt deren drei, die zu einem „Schutzheiligen der Liebenden“ verkocht wurden.
Für mich gilt deswegen: Valentinstag?
Geh ich nicht hin.

Hinterlasse jetzt einen Kommentar

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.


*


CAPTCHA
Refresh

*