Angekommen. Tagebuch einer Ausgewanderten

Die Macht der Kommentatoren…

.. kann heutzutage das Bild eines ganzen Volkes verändern, und damit meine ich nicht die „angestellten“ Kommentatoren in den Medien, die  sich mehr oder weniger klug und mehr oder weniger fundiert zu brennenden Themen äussern. Ich meine die Kommentatoren in den unvermeidlichen „Kommentarspalten“ in den Online-Medien.  Mal ehrlich: wann haben Sie Ihren letzten „echten“ Leserbrief geschrieben? So richtig? An meinen kann ich mich gar nicht mehr erinnern, es ist einfach zu lange her – muss in „vor-Internet-Zeiten“ gewesen sein.

Nicht, dass ich weniger kommentiere – im Gegenteil. Ich bin bei so ziemlich allen großen Onlinemagazinen zumindest angemeldet, bei zweien oder dreien beteilige ich mich gelegentlich an Diskussionen – und damit meine ich nicht die themenbezogenen Foren, sondern die Online -Tages“zeitungen“ wie Welt , Focus, Spiegel online.

Eigentlich ist das eine gute Sache, durch einen Artikel kann eine sehr interessante Interaktion entstehen – aber was wird meist aus den Diskussionssträngen gemacht? Polemik, Angriffe oder auch Beleidigungen übelster Sorte, die im richtigen Leben ganz hart am Straftatbestand vorbeischrammen – und im Internet locker durch die Forenmoderation gewunken wird. Je nachdem, welches Medium man gerade vor sich hat, kann man schon genau abschätzen, in welcher Richtung der Tenor geht… und das meine ich mit der Wahrnehmung des Bildes eines ganzen Volkes. Liest man sich die Foren bestimmter, ich sage es mal vorsichtig, konservativer Medien durch, kann bei einem Leser von aussen ein total verzerrtes Meinungsbild der Deutschen entstehen… so könnte man meinen, dass in Teilen – oder weiten Teilen – der deutschen Bevölkerung eine sehr ausgeprägte Abneigung gegen die Türkei im allgemeinen und die Türken im Besonderen vorherrsche.  Insbesondere in den letzten Tagen bei der Berichterstattung um den abgeschossenen  türkischen Kampfjet lassen den objektiven (ok, vielleicht nicht ganz so objektiven) Leser erschreckt zurück – man könnte direkt das Gefühl bekommen, dass ein Fall, so verwickelt und undurchsichtig er auch ist, automatisch einen schnell ausgemachten Schuldigen hat, wenn einer der Beteiligten die Türkei ist.  

Dass dies nicht generell so ist, weiss ich auch, genauso wie ich weiss, dass die oft markigen und theatralischen Sprüche eines Herrn Erdogan in Deutschland sehr schlecht ankommen (meist auch verständlicherweise, diese Art von Rhetorik liegt den Deutschen nicht).
Aber trotzdem finde ich es mehr als bedenklich, wenn eine Aussage wie diese, Zitat: „Bomben auf die Türkei wären viel wichtiger als Bomben auf Syrien. Und selbstverständliche eine Ausschaffung der Türken aus unserem Land. Des inneren und äußeren Friedens willen. Dann sollen sich die Anhänger der Steinzeitreligion gegenseitig vermuseln, wie sie wollen.“ Zitat Ende  – durch die Moderation gewunken und stehen gelassen werden.  Da muss man eigentlich schon davon ausgehen, dass diese Tendenz so gewollt ist, nach dem Motto: “Wir haben das nicht  geschrieben, das war im Kommentarbereich“…  das meine ich mit der Macht der Kommentatoren. Landete ein Leserbrief mit so einer Aussage vor Jahren auf dem Schreibtisch eines Redakteurs, wäre dieses Pamphlet den Weg allen Irdischen gegangen: ab in den Mülleimer.
Heute sind die Kommentarspalten Mittel zum Zweck: zur Leserbindung („hat einer auf meinen Kommentar geantwortet?“) zur Betonung einer Tendenz oder auch als Rückmeldung für den Schreiber des Ursprungsartikels.
Was früher selbstverständlich war, nämlich der Hinweis, dass anonyme Leserbriefe grundsätzlich nicht gedruckt werden,  hat sich heute ins Gegenteil verkehrt – kein Online-Medium kann sich diese Aussage heute noch leisten, die Anonymität, aus deren Schutz es sich so wunderbar  polemisieren lässt, ist auf einmal ein hohes Gut.  Als Betreiber eines Forums sitzt man immer zwischen den Stühlen: Moderiert man zu stark, schreit alles „Zensur“ – moderiert man zu schwach, bleibt so ein unsäglicher Kommentar wie oben stehen. Der Macht der anonymen Kommentatoren über die Meinungsbildung hat man da kaum etwas entgegen zu setzen….  

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